Zur Startseite ...
Bruchkraut - Herniariae herba [DAC 2003]

Stammpflanzen: Herniaria glabra L. / Kahles Bruchkraut und Herniaria hirsuta L. / / Behaartes Bruchkraut [Fam. Caryophyllaceae / Nelkengewächse]. Synonyme: H. hirsuta: Herniaria vulgaris SPRENG., Paronychia pubescens DC. Dt. Synonyme: Zu den zahlreichen regionalen, meist heute nicht mehr gebrauchten Bezeichnungen für das Bruchkraut zählen Blattlos, Bruchwurzel, Dürrkraut, Erdzwang, Grünkräutlein, Harnkraut, Harnwind, Illrichskraut, Jungferngras, Jungferntrost, Kleiner Wegtritt, Knöpfchenkraut, Körnerkraut, Krähenseife, Krebswurzel, Nimm-mir-nichts, Seifenkraut, Steinkraut, Steinprech, Sternkraut, Stopsloch, Tausendkorn, Tausentkern, Wasserseide, Wiederbekehr und Windharnkraut. Englisch: H. glabra: Glabrous rupturewort, herniary breastwort, rupturewort, smooth rupturewort. H. hirsuta: Hairy rupturewort.

Botanische Beschreibung der Stammpflanze: Kleine, dem Boden anliegende, einjährige bis wenige Jahre alt werdende Kräuter mit reich verzweigtem Stengel und kleinen, unscheinbaren, gelbgrünen Blüten mit einfacher Blütenhülle. Die von Juni bis Oktober blühende H. glabra besitzt eine frischgrüne bis gelbgrüne Farbe. Der 5 bis 30 cm lange Stengel ist kahl oder sehr kurz kraushaarig. Die bis 10 mm langen, ungestielten, undeutlich einnervigen Blätter sind gegenständig angeordnet, durch Verkümmern des einen Blattes oben scheinbar wechselständig. Die Blattspreite ist eiförmig-lanzettlich oder elliptisch, vorne zugespitzt und gegen den Grund verschmälert. Die Nebenblätter sind klein, eiförmig, weißhäutig, verwachsen und am Rande gefranst. Die sehr kleinen, mit dem Achsenbecher kaum mehr als 0,6 mm langen Blüten sind in bis zehnblütigen, blattachsel- oder scheinbar blattgegenständigen, fast ungestielten Knäueln angeordnet. Die Blütenhülle besteht aus 5 eiförmigen, stumpfen, gelbgrünen, schmal hautrandigen, kahlen bis kurz gewimperten oder auf dem Rücken mit wenigen, sehr kurzen Haaren besetzten Perigonblättern. Staubblätter 5, Fruchtknoten in den Achsenbecher fast eingesenkt, mit 2 fast sitzenden Narben. Die Kapselfrucht ist eiförmig, auf dem Scheitel spitzwarzig, etwa 0,6 mm lang und damit genauso lang oder etwas länger als die Blütenhülle. Die zahlreichen Samen sind schwarz, glänzend und linsenförmig. Die von Juli bis September blühende H. hirsuta ist infolge ihrer dichten, kurzen, steifen, abstehenden Behaarung graugrün gefärbt. Der Stengel ist nur 5 bis 20 cm lang, die Blütenhüllblätter besitzen vorne eine oder mehrere, bis 1 mm lange Stachelborsten und umhüllen die Reife Kapsel vollständig.

Verbreitung: Das Verbreitungsgebiet von H. glabra erstreckt sich von NW-Afrika über ganz Europa, Vorderasien, den Kaukasus bis nach Mittelasien und West-Sibirien. In Deutschland ist die Art relativ häufig auf kalkarmen Böden in ruderal beeinflussten Sandtrockenrasen, auf sandigen, betretenen Ruderalstellen wie Wegrändern, Dämmen, Pflasterfugen und Bahnanlagen sowie an sandigen Uferspülsäumen. Als ursprüngliche Heimat von H. hirsuta gilt das Mittelmeergebiet. Weiterhin findet sich die Art in Mittel-, Ost- und Westeuropa-, auf den Kanarischen Inseln und östlich bis Afghanistan und Pakistan. In Deutschland seltener als H. glabra an ebensolchen Standorten.

Droge: Die zur Blütezeit gesammelten, ganzen oder geschnittenen, getrockneten oberirdischen Teile von Herniaria glabra L., Herniaria hirsuta L. oder Mischungen davon.

Beschreibung der Droge: Die stark verzweigten, etwa 10 cm langen Sprosse sind dünn und zylindrisch, die Blätter graugrün, fast sitzend, gegenständig angeordnet, bis 7 mm lang, ganzrandig und verkehrt eiförmig. An ihrer Basis befinden sich kleine, trockenhäutige Nebenblätter. Die zu fünf bis zehn in Knäueln in den Blattwinkeln stehenden fünfzähligen Blüten sind 1 bis 2 mm groß, rundlich und gelblich grün gefärbt. Sie bestehen aus elliptischen Kelchblättern, fünf Staubblättern und einem einfächrigen Fruchtknoten mit zweispaltigem Griffel. Von H. hirsuta stammende Sprossteile sind dicht kurzhaarig, die von H. glabra fast kahl. Die Schnittdroge ist gekennzeichnet durch dünne, fädige Stengelteile, kleine, ungestielte Blätter und sternförmige Blütenknäuel. Drogenteile von H. hirsuta sind meist auffallend filzig verklumpt.

Geruch und Geschmack: Geruch angenehm cumarinartig, Geschmack etwas kratzend.

Synonyme Drogenbezeichnungen: Deutsch: Harnkraut, Tausendkron, Jungfernkraut, Dürrkraut. Englisch: Flax Weed her, Herniary, Rupturewort, Rupture Wort. Lateinisch: Herba Herniariae multigraenae.

Herkunft: Fast ausschließlich aus der Wildsammlung.

Inhaltsstoffe: Triterpensaponine: Gehalt 3 bis 9 %. Überwiegend Bisdesmoside der Medicagensäure, 16α-Hydroxymedicagensäure und Gypsogensäure. Bei den aus H. glabra isolierten und strukturell geklärten Verbindungen ist an das C-Atom 3 des Aglykons ein Molekül Glucuronsäure und an das C-Atom 28 eine aus drei bis vier Monosaccharidbausteinen bestehende, zum Teil verzweigte und acetylierte Zuckerkette gebunden. Aus H. hirsuta wurden Monodesmoside der Medicagensäure gefunden, bei denen ein Tetrasaccharid (Herniariasaponin E) oder Pentasaccharid an das C-Atom 28 des Aglykons (Herniariasaponin F) gebunden ist. Flavonoide: Gehalt 0,2 bis 1,2 %. Überwiegend Derivate des Quercetins und Isorhamnetins. Cumarine: Herniarin, Umbelliferon und weitere Verbindungen, Gesamtgehalt 0,1-0,4 %.

Wirkungen: Der Droge werden schwach spasmolytische, adstringierende und desinfizierende Wirkungen auf die ableitenden Harnwege zugesprochen. Sichere experimenelle Belege für eine derartige Wirksamkeit sind nicht vorhanden. In neueren pharmakologischen Untersuchungen konnte an Ratten nach einmonatiger Behandlung mit Herniaria-Saponinen eine Senkung des systolischen und diastolischen Blutdrucks um ca. 40 bzw. 30 mmHg nachgewiesen werden. Bei der parallel erfolgten Untersuchung des Einflusses auf die renale Exkretion zeigte sich bei Tieren mit normalem Blutdruck kein Effekt. Bei Versuchstieren mit erhöhtem Blutdruck bewirkten die Saponine demgegenüber eine signifikante Steigerung der glomerulären Filtration, einen Anstieg des Harnflusses und der Ausscheidung von Natrium- und Chloridionen. Aus den Ergebnissen wird geschlussfolgert, dass die längere perorale Gabe von Saponinen aus H. glabra zu einer Senkung des arteriellen Blutdrucks und einer Beeinflussung von Salz- und Wassertransport in den Nierentubuli führt. Ebenfalls an Ratten wurde der Einfluss eines wässrigen Extraktes aus H. hirsuta auf die Ablagerung bzw. Ausscheidung von Calciumoxalat in/aus den Nieren untersucht. Dabei konnte nach dreiwöchiger Behandlung eine verminderte Einlagerung von Calciumoxalat in die Nieren sowie eine bevorzugte Ausscheidung kleinerer Kristalle beobachtet werden. Die Autoren leiten aus den Befunden einen Beweis für die Wirksamkeit der Droge zur Behandlung von Nierensteinen ab. In weiterführenden Untersuchungen an kultivierten Nierenzellen von Hunden wurde die Anhaftung von Calciumoxalatmonohydrat (COM) an den Zellmembranen dosisabhängig durch den Extrakt aus H. hirsuta gehemmt und bereits anhaftendes COM wieder freigesetzt. Der Effekt war bei Körpertemperatur stärker ausgeprägt als bei niedrigen Temperaturen, was auf die bei höheren Temperaturen zunehmende Membranfluidität zurückgeführt wird. Schädliche oder toxische Effekte auf die Zellen wurden nicht beobachtet. In menschlichen Urinproben wurde die Kristallion von Calciumoxalat induziert. Den Proben wurden unterschiedlich konzentrierte (0,0625-1 mg/ml) Extrakte aus H. hirsuta zugesetzt. Mit steigender Konzentration nahm die Kristallisation zu, die Größe der Kristalle jedoch ab. Gleichzeitig wurde die Entstehung von Kristallen von Calciumoxalatdihydrat und weniger von Monohydrat gefördert sowie die Zusammenlagerung der Kristalle gehemmt. Insbesondere aus der Hemmung der Zusammenlagerung der Kristalle wird geschlussfolgert, dass durch Verwendung von H. hirsuta die Entstehung von Nierensteinen verhindert werden kann.

Anwendungsgebiete: Die Anwendung erfolgt ausschließlich in der Volksheilkunde zur Behandlung und Vorbeugung von Erkrankungen und Beschwerden im Bereich der Nieren und ableitenden Harnwege, bei Beschwerden im Bereich der Atemwege, bei Nervenentzündungen, Gicht und Rheumatismus sowie zur "Blutreinigung". Die Wirksamkeit bei den beanspruchten Anwendungsgebieten ist nicht ausreichend belegt, so dass in der wissenschaftlich begründeten Phytotherapie die Anwendung nicht befürwortet wird. Die kürzlich erzielten Ergebnisse pharmakologischer Untersuchungen deuten jedoch auf eine Wirksamkeit bei der Behandlung von Nierensteinleiden hin.

Gegenanzeigen: Keine bekannt.

Unerwünschte Wirkungen: Keine bekannt.

Wechselwirkungen mit anderen Mitteln: Keine bekannt.

Dosierung und Art der Anwendung: Die Anwendung erfolgt insbesondere mittels selbst hergestellter Tees oder fertiger Teemischungen der Gruppe "Blasen-Nierentees", die neben Bruchkraut in der Regel Drogen mit erwiesener diuretischer Wirksamkeit enthalten. Zur Teebereitung aus Bruchkraut werden 1,5 g (etwa 1 Teelöffel) fein geschnittener Droge mit kaltem Wasser übergossen, kurz aufgekocht und nach 5 Minuten durch ein Teesieb gegeben. Zwei- bis dreimal täglich eine Tasse trinken.


Bilder:

Die Bruchkräuter sind kleine, dem Boden anliegende und daher sehr unscheinbare Kräuter mit gegenständig angeordneten, ungestielten Blättern (s. Abbildung links) und kleinen, gelbgrünen Blüten mit einfacher Blütenhülle (s. Abbildung rechts). Deutlichstes Unterscheidungsmerkmal der beiden offizinellen Arten ist die Behaarung, den entsprechend ihrer Bezeichnungen ist das Kahle Bruchkraut nahezu unbehaart, während das Behaarte Bruchkraut eine dichte, kurze, steife Behaarung aufweist.


Literatur: Atmani F, Farell G, Lieske JC, Extract from Herniaria hirsuta coats calcium oxalate monohydrate crystals and blocks their adhesion to renal epithelial cells, J Urol. 172 (2004): 1510-1514; Atmani F, Khan SR, Effects of an extract from Herniaria hirsuta on calcium oxalate crystallization in vitro, BJU Int. 85 (2000): 621-625; Atmani F, Slimani Y, Mimouni M, Aziz M, Hacht B, Ziyyat A, Effect of aqueous extract from Herniaria hirsuta L. on experimentally nephrolithiasic rats, J Ethnopharmacol. 95 (2004): 87-93; Atmani F, Slimani Y, Mimouni M, Hacht B, Prophylaxis of calcium oxalate stones by Herniaria hirsuta on experimentally induced nephrolithiasis in rats, BJU Int. 92 (2003): 137-140; Deutscher Arzneimittelcodex (DAC) 2003; Hagers Handbuch der Pharmazeutischen Praxis, Vollständige (Vierte) Neuausgabe, Fünfter Band (H-M), Springer-Verlag, Berlin Heidelberg New York 1976; Jäger EJ, Werner KW, Rothmaler - Exkursionsflora von Deutschland, Band 4, Gefäßpflanzen: Kritischer Band, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg Berlin 2002; Marzell H, Wörterbuch der Deutschen Pflanzennamen, Verlag S. Hirzel, Leipzig 1943; Mbark AN, Charouf Z, Wray V, Nimtz M, Schopke T, Monodesmosidic saponins from Herniaria hirsuta, Pharmazie 55 (2000): 690-692; Rhiouani H, Lyoussi B, Settaf A, Cherrah Y, Hassar M, Antihypertensive effect of Herniaria glabra saponins in the spontaneously hypertensive rat, Ann Pharm Fr. 59 (2001): 211-214; Rhiouani H, Settaf A, Lyoussi B, Cherrah Y, Lacaille-Dubois MA, Hassar M, Effects of saponins from Herniaria glabra on blood pressure and renal function in spontaneously hypertensive rats, Therapie 54(1999): 735-739; Monografie der Kommission E, Bundes-Anzeiger Nr. 173 vom 18.09.1986; Schroder H, Schubert-Zsilavecz M, Reznicek G, Cart J, Jurenitsch J, Haslinger E, A triterpene saponin from Herniaria glabra, Phytochemistry 34 (1993): 1609-1613; USDA, ARS, National Genetic Resources Program. Germplasm Resources Information Network - (GRIN) [Online Database]; van Wyk BE, Wink C, Wink M, Handbuch der Arzneipflanzen, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 2004; Wichtl M (Hrsg.), Teedrogen und Phytopharmaka, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 2002.


© Thomas Schöpke